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Der Kita-Tausch des Omse e.V. im "anspiel" des Parisax

Die Ausgabe 11 des "anspiel", des Magazins des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Sachsen, sollte mit positivem Grundton daherkommen. Corona begleitet uns nun bereits seit zwei Jahren. Was gibt es da schon Positives zu berichten?

Tatsächlich eine ganze Menge! Viele Einrichtungen hatten beispielsweise nun die Zeit, lange gehegte Pläne und Wünsche umzusetzen. Es gab Freiräume - auch zum Nachdenken - die es sonst im Alltagsstress nicht gab.

Auch der Omse e.V. hat einen Beitrag zur Ausgabe März 2022 des "anspiel" beigesteuert. Darin berichten wir über den gelungenen Kita-Tausch zwischen der Kita "Löwenzahn" und der Kita "Koboldland" im Juni 2021.


 

Pädagog*innen im Austausch

Der 25. Juni 2021 ist in Dresden ein wenig regnerisch. Von der Fährstelle Neustadt legt eine Fähre ab und bewegt sich zielstrebig auf die Elbe. An Bord: eine Gruppe aufmerksamer Kindergartenkinder mit ihrer Pädagogin der Kita »Koboldland« in Dresden-Klotzsche. Eigentlich gehört Bettina Fröhlich zur Kita »Löwenzahn« in Dresden-Gorbitz und dieser Tag ist emotionaler Abschluss und Höhepunkt eines dreiwöchigen Experiments.

Der Omse eV. ist seit den 1990er Jahren Träger von aktuell fünf Kindergärten, der Laborschule Dresden und mehrerer soziokultureller Projekte, insbesondere des Kinder- und Familientreffs »Puzzle«. Seinen Sitz hat der Omse e.V. im sogenannten Dresdner Brennpunktstadtteil Gorbitz. Hier leben Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur, Einkünfte und Lebensentwürfe miteinander. Es gibt prekäre Situationen, Spannungen, aber auch Chancen.

Chancen eröffnet hat auch Corona, nämlich lang gehegte Pläne endlich umzusetzen. Insbesondere während des ersten Lockdowns ab März 2020 oder Zeiten der Notbetreuung gab es plötzlich Zeit für lange aufgeschobene Projekte, verbunden mit der Lust, sich an Neues zu wagen.

Positive Veränderungen geschehen nicht über Nacht, sind jedoch am wirkungsvollsten auf Augenhöhe:

  • die andere Welt einmal selbst erleben
  • sich hineinversetzen in andere Bedürfnisse
  • die Arbeit mit unterschiedlichen Zielgruppen
  • die eigenen Scheuklappen wegwerfen und sich mal wieder ins kalte Wasser begeben

Diese Ideen stecken hinter dem Projekt »Kita-Austausch« des Omse e.V.

Unterschiede als Chancen

Vier Kindergärten des Omse e.V. befinden sich im Dresdner Westen, in Gorbitz und Omsewitz: die »Gorbitzer Früchtchen«, die »Kümmelkrümel«, der »Löwenzahn« und der »Wirbelwind«. Die Kita »Koboldland« liegt am entgegengesetzten östlichen Stadtrand, in Klotzsche. In jeder Kita gibt es andere Kinder mit ihren Eltern, Pädagog*innen mit eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen sowie ein Einrichtungskonzept mit geregeltem Tagesablauf und unterschiedlichen Angeboten zum Spielen und Lernen.

Für Kinder sind feste Strukturen und authentische Menschen wichtig. So kommen sie im Leben an, lernen Neues und ordnen es ein. Kinder sind jedoch vor allem neugierig. Werden Strukturen zu fest gezurrt, bleibt von Neugier im Erwachsenenalter kaum etwas übrig. Alles Neue wird dann so lange vermieden, bis es unumgänglich wird. Etablierte Arbeitsabläufe haben sich schließlich bewährt. Never change a winning team, heißt es. Doch stimmt das wirklich?

Diese Frage hat sich der Betriebsrat des Omse e.V. bereits im Jahr 2015 gestellt. Weshalb nicht einmal den Horizont erweitern? Weshalb nicht einmal eine andere Kita kennenlernen? Wie oft machen sich Menschen gegenseitig Vorwürfe oder reden aneinander vorbei, weil sie Arbeit, Methoden und Strukturen des anderen nicht kennen, dafür aber viele Vorurteile haben?

Ziel der Überlegungen war damals, zwei Pädagog*innen aus unterschiedlichen Kitas des Omse e.V. zu finden, die für ein paar Wochen die Plätze tauschen. Als vollwertige Pädagog*innen sollten sie den jeweils anderen Arbeitsalltag kennenlernen und so die eigenen Abläufe neu bewerten, eigenes in der anderen Kita anregen, neu Ausprobiertes in die eigene Kita mitnehmen. Und dabei insgesamt: Verständnis und Respekt für die Arbeit der anderen Pädagog*innen entwickeln.

Klassische Gruppenräume vs. Werkstattkita

Hans-Georg Fröhlich bezeichnet sich selbst als Rock 'n' Roll-Pädagoge, der mit seiner Gitarre bei allen Kindern gut ankommt. Er war es auch, der das lange geplante Projekt »Kita-Austausch« letztlich auf den Weg gebracht hat. Von seinem Einrichtungsleiter in der Kita »Koboldland« hatte er die Zusage für zwei Monate. Verabredet werden konnten mit der Kita »Löwenzahn« letztlich drei Wochen. So startete das Projekt am 07. Juni 2021.

Im »Koboldland« gibt es klassische Gruppenräume; alle Aktivitäten, auch Essen und Ruhen finden in diesen Räumen statt. Der »Löwenzahn« ist dagegen eine Werkstatt-Kita, die offen arbeitet. Hier gibt es fünf Themenräume und den Garten, wo viele Angebote stattfinden und zu denen sich die Kinder und Pädagog*innen frei zuordnen können.

Große Unterschiede zwischen beiden Kitas gibt es in der jeweiligen Klientel. Eltern und Kinder in der Kita »Koboldland« sind homogen und gehören zum gehobenen Mittelstand. In der Kita »Löwenzahn« herrscht eine bunte Mischung aus vielen Kulturen und Sprachen. Etwa ein Drittel der Kinder und Eltern sprechen zu Beginn kein oder kaum Deutsch. Wo im »Koboldland« Bildung eher ausgebremst werden muss, sind im »Löwenzahn« pädagogische Angebote eine Anregung für die Kinder, weil hier Voraussetzungen und Bedürfnisse ganz andere sind.

Emotionales Wiedersehen

Als die Fähre am gegenüberliegenden Ufer der Elbe an der Fährstelle Johannstadt anlegt, steigen die Kinder erwartungsfroh an Land. Als sie ihre Pädagog*innen erkennen, die sie drei Wochen nicht gesehen haben, werden Bettina und Hans-Georg stürmisch begrüßt. Viele Kinder haben wohl da erst so richtig verstanden, was es mit dem Tausch auf sich hatte. Dass beide Kindergruppen auf dem Piratenspielplatz am Fährgarten anschließend miteinander gespielt haben, war ein emotionaler Abschluss eines rundum gelungenen Kita-Austauschs.

Auf die Frage, was sie anderen Pädagog*innen mit auf den Weg geben wollen, die ein ähnliches Projekt planen, antworten Hans-Georg und Bettina ähnlich: Probiert es aus! Je mehr unterschiedliche Erfahrungen man sammelt, umso kompetenter wird man. So ein Tausch kann nur bereichern.

Tipps zur eigenen Umsetzung

  • Ins kalte Wasser werfen ist gut, unter einer Voraussetzung: Es muss allen Beteiligten klar sein, dass der oder die Neue die Einrichtung vorurteilsfrei kennenlernen möchte.
  • Idealerweise gibt es zu Beginn eine Vorstellungsrunde mit allen Pädagog*innen der Einrichtung und am Ende eine Reflexion über das Erlebte. Der Tauschpädagoge kann sagen, was er gut fand und was er in die eigene Kita mitnehmen möchte, aber auch, was ihm an Veränderungspotential in der Tauschkita aufgefallen ist.
  • Wichtig: Der Tausch soll eine Bereicherung für alle Beteiligte sein, keine Pflicht.
  • Wer Vorbehalte hat: miteinander reden und Vorurteile klären. Vieles relativiert sich im Gespräch.